Zwei Expeditionen, ein Ziel: der Südpol, 1911/12.
Das Rennen um den Südpol
Robert Falcon Scott reist als britischer Nationalheld mit wissenschaftlichem Auftrag, gemischten Transportmitteln und großem Tross. Roald Amundsen führt ein kleines, spezialisiertes Team,
konzentriert auf ein einziges Ergebnis: als Erster den Pol erreichen. Amundsen gewinnt. Scotts Team stirbt auf dem Rückweg. Für uns interessant ist weniger das Drama als die Logik dahinter – und
was das für kleinere und mittlere Unternehmen bedeutet.
1) Zielklarheit schlägt Zielvielfalt
Scott verknüpft Expedition und Forschung. Das erhöht Relevanz und Finanzierung. So übernimmt der britische Staat einen guten Teil der Kosten. Die Kehrseite: Komplexität, Zielkonflikte und Gepäck
nehmen zu. Amundsen ordnet alles einem Ergebnis unter. So wie im Unternehmen gilt: Ein klar priorisiertes Ziel richtet Entscheidungen, Ressourcen und Tempo aus. Jede Zusatzagenda würde Zeit, Geld
und Ressourcen kosten.
2) Lernen vor Stolz
Amundsen kopiert Systemelemente der Inuit – Kleidung, Ernährung, Hundeschlitten, Etappenrhythmus. Er testet unter Realbedingungen und lässt Überzeugungen durch Evidenz ersetzen. Scott vertraut auf prestigeträchtige, aber ungetestete Lösungen (Motorschlitten, Ponys) und auf Heldengeschichten. Übertragen: Lernen, Erfahrung und Schritt für Schritt Vorgehensweise vor „Operation am offenen Herzen“ ohne Erfahrung.
3) Einfachheit im Vorgehen
Amundsen nutzt ein dominantes Transportmittel mit echten Spezialisten, Hundeschlitten mit erfahrenen Schlittenführern. Scotts Portfolio aus Motorschlitten, Tieren, wenigen Hunden und
„man-hauling“ multipliziert Schnittstellen, Komplexität und Ausfallrisiken. Übertragen: Weniger ist oft mehr. Weniger Varianten sind mehr und Reserven an den richtigen Stellen geben Stabilität,
sprich Robustheit.
4) Belastungsmanagement und Rhythmus
In extremer Kälte darf der Mensch nicht schwitzen: Verdunstung friert und tötet schlussendlich. Amundsen marschiert täglich, eher kurz und steigert mit wachsender Erfahrung die Etappenlänge.
Damit schafft er konstante und messbare Fortschritte. Scott „sprintet“ bei gutem Wetter und sitzt bei schlechtem fest: Leistung in Wellen, eine erschöpfte Mannschaft und eine Moral, die im Keller
ist. Organisationen funktionieren ähnlich: Dauerhaft hohe Last ohne Erholung schadet der Qualität, die Sicherheit leidet und die Urteilsfähigkeit nimmt ab. Besser sind ein Vorgehen in kleinen
Schritten, Reflexionspausen und das „Feiern“ der kleinen Erfolge und Fortschritte.
5) Teamzusammensetzung: wenige und dafür belastbare Spezialisten
Amundsen reist mit wenigen, aber exzellenten Spezialisten (Navigation, Hundeschlitten, Lager … ). Scott nimmt viele Wissenschaftler mit, jedoch zu wenig Spezialisten für das eigentliche Ziel, den
Nordpol. Für das kleine Unternehmen heißt das: Mit Spezialisten umgeben (intern und extern), klare Rollenverteilungen und laufende Reflexionsschleifen.
6) Vorräte, Puffer, Vorentscheidungen
Amundsen arbeitet mit zahlreichen kleineren Depots, klaren Wegmarken und klar ersichtlichen Markierungen sowie mit vorab getroffenen Regeln („Wenn X, dann Y“). So reduziert er Ad-hoc-Debatten in
Stresssituationen. Scott setzt auf größere Depots, dafür weniger in der Anzahl und weniger engmaschig. Darüber hinaus waren die Wege dazwischen weniger gut markiert und die Lager selbst
schlechter gekennzeichnet. Damit war das Depotsystem von Amundsen wesentlich fehlertoleranter und robuster als das System von Scott. Für das kleine Unternehmen heißt das wieder: Ein robustes
System zeichnet sich durch Reserven, Engmaschigkeit und Fehlertoleranz aus.
Fazit
Amundsens Sieg war kein heroischer Zufall, sondern das Ergebnis eines konsistenten Plans, mit dem er die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhte und dem Glück auf die Sprünge half. Ein klares Ziel, evidenzbasiertes Lernen, reduzierte Komplexität, Reserven und eingebaute Fehlertoleranz, sowie Spezialisten am Steuer. Genau diese Kombination macht kleine und mittlere Unternehmen widerstandsfähig und damit robust – im Wettbewerb, in Lieferketten und bei der Innovation.
Eine Frage der Robustheit
Wo in Ihrem Unternehmen könnten kleine, tägliche Etappen und bewusst reduzierte Komplexität die Erfolgswahrscheinlichkeit in den nächsten sechs Monaten am stärksten erhöhen und was würden Sie heute weglassen, um das möglich zu machen?
