Stellen Sie sich folgende Szene vor: Die Polizei taucht unangemeldet bei Ihnen auf und stellt Ihnen seltsame Fragen:
- Haben Sie ein Bankkonto bei der Bank xy?
- Tilgen Sie gerade ein Darlehen bei der Bank xy?
- Kennen Sie den Herrn xy, seines Zeichens Generaldirektor der Bank xy?
Alle Fragen beantworten Sie mit einem klaren Nein. Dann eröffnen Ihnen die netten Damen und Herren von der Polizei, dass Sie bei einer regionalen Bank seit mehreren Jahren einen Kredit über mehrere hunderttausend Euro laufen haben. Nach dem ersten Schweißausbruch reden die freundlichen Herrschaften beruhigend auf Sie ein.
So ist es einigen verdutzten Damen und Herren im Jahr 2020 gegangen. Was war geschehen?
Ein angesehener Bankdirektor beschließt, seine eigene Bank zu gründen. Die neu gegründete Bank prosperiert, entwickelt sich zu einem regionalen Entwicklungsmotor und zum angesehenen Sponsor des örtlichen Fußballvereins. Im Jahr 2020 allerdings stellt sich heraus, dass das alles auf einer Betrugsmaschine aufgebaut war. Erfundene Kredite, erfundene Einlagen, selbst erstellte Saldenbestätigungen …
Martin Pucher wollte „jemand sein“. Dann läuft das Geschäft nicht so, wie er sich das vorgestellt hat und er es der Öffentlichkeit erklärt hat. Eine „kleine“ Veränderung eines Kontostandes half, den Schein aufrechtzuerhalten. Aus der Nummer ist er aber nicht mehr herausgekommen. Im Gegenteil! Es wurde immer mehr und immer dreister. Um das Delta auszugleichen, hat er begonnen zu spekulieren. Auch das hat nicht funktioniert und dann kam es, wie es kommen musste. Das Kartenhaus ist eingestürzt und Österreich hatte seinen größten Bankenskandal der Geschichte.
Immer wieder betonte Martin Pucher, dass er sich nicht persönlich bereicherte, er wollte nur „jemand sein“. Wenn er der Öffentlichkeit eingestehen hätte müssen, dass es nicht so funktioniert, wie er sich das vorstellte, dann hätte er sich schämen müssen.
Scham ist ein mächtiges Gefühl. Es kann uns blockieren, aber auch ganz seltsame und irrational erscheinende Verhaltensweisen triggern. Neben Gier und schieren Machtgelüsten wird Scham von Wirtschaftsforensikern als wichtigster Auslöser für Wirtschaftsverbrechen genannt.
Scham ist eine noch viel tiefer sitzende Emotion als die Angst:
- uns selbst eingestehen müssen, dass wir eine falsche Entscheidung getroffen haben;
- ein Versprechen nicht einhalten zu können;
- dass unser Unternehmen vielleicht doch nicht so erfolgreich ist, als wir vorgeben;
- dass wir vielleicht doch auf Hilfe von außen angewiesen sind;
- etc.
Das alles ist öfter, als wir uns selbst eingestehen, mit Scham verbunden.
Das Geschäft läuft zum Beispiel nicht so wie angekündigt oder versprochen. Dann beginnt man den Jahresabschluss ein wenig zu schönen. Legale Möglichkeiten gibt es genügend. Mit der Zeit werden Schritt für Schritt Grenzen verschoben und ehe man es sich versieht, steckt man in einem Strudel drinnen, dem man nicht mehr entkommt. Was mit einer „kleinen“ Anpassung eines Kontostandes im System begann, hat sich über die Jahre zu einem ausgeklügelten Betrugssystem entwickelt. Und das immer mit dem Wunsch, da auch wieder herauszukommen. Gelungen ist das nicht und als das Delta zwischen Schein und Realität zu groß war, war der größte Bankenskandal Österreichs perfekt. Nachzulesen zum Beispiel hier:
Es muss nicht gleich kriminell werden, aber das Gefühl blockiert.
Scham ist so mächtig, weil es eine uralte Emotion ist. Sie kennen alle die Grundbedürfnisse der Menschen, die in uns allen angelegt sind. Dazu gehören Sicherheit, Orientierung und Kontrolle.
Seinerzeit sind wir durch den Wald gestreift auf der Suche nach Futter und wir mussten aufpassen, dass wir nicht selbst zu Futter wurden. Meist hat das in der Gruppe stattgefunden. Da mussten alle diszipliniert mitziehen und durften nicht ausscheren. Die Gruppennormen mussten eingehalten werden. Ist da einer ausgeschert, dann wurde der geächtet, bloßgestellt und bestraft.
Das ist der Ursprung dieser starken Emotion. Das ist heute noch so. Wir passen uns den Normen unserer Gruppe an und scheren dann kaum aus, weil wir sonst bloßgestellt, geächtet und bestraft werden und uns dann schämen müssten.
Im Laufe der Jahrtausende hat sich diese Emotion dann weiterentwickelt. Heute geht es nicht mehr nur um die Normen der Gruppe, es geht auch um die eigenen Werte und Normen. Können wir die uns selbst gesetzten Normen und Werte nicht einhalten, dann schämen wir uns:
- Wir dürfen als Unternehmer nicht scheitern.
- Wir müssen uns von der besten und erfolgreichen Seite zeigen.
- Versprechen müssen eingehalten werden.
- usw.
Natürlich sind das nur Kopf-Konstrukte und haben mit der Realität nichts zu tun. Aber erklären Sie das einmal einem Menschen, der sich gerade schämt.
Ich kann Sie nur motivieren, offensiv mit der Situation umzugehen, die Sie belastet. Das tut einmal weh, hilft aber auf Dauer ungeheuer.
Eine Frage der Robustheit
Gibt es ein Thema im Zusammenhang mit Ihrem Geschäft, für das Sie sich in der Tiefe Ihres Herzens schämen oder das unangenehme Emotionen auslöst? Gibt es jemanden, dem Sie sich anvertrauen können, um das Thema in Angriff nehmen zu können?