Der zehnte Mann


Die "Regel des zehnten Mannes" wird der israelischen Armee bzw. dem israelischen Geheimdienst zugeschrieben und besagt sinngemäß Folgendes: Wenn zehn Menschen über einem Problem brüten und sich über die Lösung einig sind, dann hat eine Person von ihnen die Pflicht zum Widerspruch. Diese Person muss dann folgende Fragen stellen: "Was tun wir, wenn die anderen neun falsch liegen?", "Gibt es etwas, das wir nicht sehen?", "Wo ist die Lücke?", "Was ist undenkbar?", "Was ist der schlimmste Fall und was tun wir, wenn er eintritt?".

 

Warum stammt dieses Prinzip ausgerechnet vom Geheimdienst? Geheimdienste und Militär haben oft für ihre Entscheidungen nicht ausreichend faktenbasierte Informationen zur Verfügung. Oft ist es eine Mischung aus Annahmen, Gerüchten, Missverständnissen, Informationen auf Basis persönlicher Interessen etc. Kommt Ihnen das aus Ihrem unternehmerischen Alltag bekannt vor? Ist es nicht so, dass wir laufend Entscheidungen auf Basis unvollständiger, falsch interpretierter oder gefärbter Annahmen treffen (müssen)?

 

Wenn Sie in der Situation sind, Ihre Entscheidungen alleine treffen zu müssen, dann sind auch Sie dieser Gefahr ausgesetzt. Wir nehmen Informationen nur wahr, wenn sie in unser Weltbild passen. Wir färben Fakten mit unseren höchst persönlichen Erfahrungen, Hoffnungen, aber auch oft wenig hilfreichen Glaubenssätzen ein und laufen damit permanent Gefahr, etwas zu übersehen. Hier hilft zumindest ein "zweiter Mann oder eine zweite Frau", der oder die uns ein wenig aus der Reserve lockt und uns zwingt, unser Problem oder unsere Entscheidung aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

 

Wenn Sie in der Situation sind, dass Sie Problemstellungen, Aufgaben oder die Vorbereitung von Entscheidungen in einer Gruppe von Mitarbeiter:innen bearbeiten, dann besteht die Gefahr, dass Sie in ein sogenanntes "group-think"-Phänomen laufen. Der "zehnte Mann" soll dann verhindern, dass dieses gefährliche Gruppendenken entsteht.

 

Ich kann Ihnen dazu ein extremes praktisches Beispiel aus meinem unternehmerischen Leben erzählen: Viele von Ihnen wissen, dass ich mein eigenes Unternehmen nach einem gescheiterten Großprojekt in Konkurs schicken musste. Alle daran Beteiligten wussten, dass das Projekt eigentlich zu groß für uns war. Trotzdem haben wir uns an die Umsetzung gewagt. Schließlich haben wir uns extrem akribisch vorbereitet und die Meinung zahlreicher Experten dazu eingeholt. Einige Zeit nach dem Konkurs habe ich mir angesehen, wie viele Personen an der Entscheidung, dass wir das Projekt umsetzen, beteiligt waren. Es waren sage und schreibe rund 50 Personen. Ich selbst, meine Vorstandskollegen, die Schlüsselmitarbeiter, unsere Investoren, Banken, Förderstellen und Projektpartner. Alle waren begeistert über die technische und kaufmännische Herausforderung, über die "Sexyness" des Projektes und die Erfolgsgeschichte, die man damit schreiben könnte. Keine einzige Person aus dem Kreis der rund 50 ist aufgestanden und hat die Rolle des "zehnten Mannes" eingenommen. Das war ein klassischer Fall von Gruppendenken, mit einem denkbar schlechten Ausgang. Meine Aufgabe als „Chef“ wäre es damals gewesen, jemandem diese Rolle zu übertragen. Zugegebenermaßen ist das ein extremes Beispiel, aber diese Phänomene passieren uns immer und immer wieder auch im Kleinen.

 

 

Ich kann Ihnen deshalb nur raten, dass Sie sich – vor allem bei Entscheidungen mit großen Konsequenzen – einen „zehnten Mann“ suchen.


Eine Frage der Robustheit

 

Schreiben Sie einmal zwei bis drei Entscheidungen auf, die sich im Nachhinein als gut, vorteilhaft oder gar weise herausgestellt haben. Danach schreiben Sie zwei bis drei Entscheidungen auf, die Sie im Nachhinein als Fehlentscheidung einstufen würden.

 

Danach überlegen Sie, wie Sie an diese Entscheidungen herangegangen sind, unter welchen Umständen sie getroffen wurden, wer daran beteiligt war, welche Informationen sie dafür herangezogen haben und wie Sie dazu gekommen sind etc.

 

Dann schauen Sie sich an, was die beiden voneinander unterscheidet und was Sie daraus für zukünftige Entscheidungen mitnehmen können.

 

 

Gutes Gelingen!