„Wer Visionen hat, braucht einen Arzt“, sagte einmal ein österreichischer Bundeskanzler auf die Frage, welche Vision er für das Land habe.
Viele fanden diesen Spruch witzig – ich nicht.
Warum, habe ich erst im Laufe der Jahre wirklich verstanden. Der Grund ist einfach und hat mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun.
Unser Gehirn ist ein Dauer-Kino: Es produziert ununterbrochen Bilder und kleine Simulationen, um die Realität zu verstehen und zu interpretieren. Fakten allein rauschen oft an uns vorbei, eingebettet in Bilder und Geschichten bleiben sie hängen. Kurz gesagt:
Ohne Bild keine Existenz. Wenn wir uns etwas nicht vorstellen können, können wir es auch nicht erreichen. Fehlt uns das Bild davon, wohin wir unser Unternehmen steuern wollen, kommen wir auch nicht dorthin.
Das ist die Sonnenseite der Vision. Aber wo Sonne ist, gibt es auch Schatten.
Wenn große Ziele lähmen
Wir hören ständig: „Setz dir hohe, ambitionierte Ziele! Greif nach den Sternen!“ Klingt inspirierend und kann auch helfen. Aber wie so oft im Leben gibt es
Kipppunkte.
Werden die Projekte aus diesen großen Zielen zu komplex, lähmen sie eher, als dass sie motivieren. Und oft werden uns die großen Ziele von außen aufgezwungen. Wenn zum Beispiel ein großer Kunde
ausfällt, das Wirtschaftsklima generell schlechter wird oder eine Schlüsselarbeitskraft das Unternehmen verlässt. Dann wird es ohnehin schwierig, sich für ein großes Vorhaben zu
motivieren.
Der Kopf sagt dann: Zerlege das große Vorhaben in kleine Schritte. Klingt simpel – tun wir aber oft nicht.
Stattdessen halten wir stur am großen Plan fest, auch wenn wir langsam den Glauben daran verlieren. Spätestens dann verlieren auch unsere Mitarbeitenden das Vertrauen, und ohne Mitstreiter wird’s wirklich schwer.
Einen Zugang zu diesem Thema habe ich in meinem Artikel „Der Kreis des Zorro“ beschrieben
Einen anderen Blickwinkel bietet das Konzept der Small Wins: Nicht die großen Pläne verändern ein Unternehmen, sondern die beharrlich umgesetzten kleinen Schritte.
Kleine Schritte, große Wirkung
Wichtiger als das große, in der Ferne liegende Ziel ist der nächste Schritt. Der muss klar sein. Kleine Schritte verringern die Komplexität, das wissen wir. Wir müssen noch nicht alle Schritte kennen, denn der wichtigste ist der nächste Schritt. Der muss klar sein. Danach überprüfen wir, ob wir noch in der Spur sind, oder ob wir die Richtung oder das Ziel ändern müssen. Auch das kann vorkommen. So wie der Bergsteiger im Felsen.
Ein erfahrener Bergsteiger, der sich über einen Felsgrat bewegt, braucht selbstverständlich ein Ziel und kennt seine Route. Doch was ihn wirklich voranbringt, ist der nächste Schritt.
Er hat dabei drei Kontaktpunkte fest verankert – Hände oder Füße – und sucht mit dem vierten gezielt den nächsten Halt. Erst wenn der sicher ist, löst er einen Punkt und geht weiter.
Und wenn der nächste Griff nicht passt? Dann geht es eben einen Schritt zurück – nicht als Niederlage, sondern als kluge Anpassung.
Im unternehmerischen Kontext ist das aber nur die halbe Miete.
Der zweite, oft unterschätzte Teil: Feiern!
Nicht mit Champagner und Feuerwerk, aber so, dass alle Beteiligten den Erfolg wahrnehmen. Das verändert die Wahrnehmung, motiviert mehr als abstrakte Fernziele und nimmt die Angst vor dem
nächsten Schritt.
Wenn die ersten kleinen Erfolge gelingen, verändert sich die Dynamik – in einem selbst und im ganzen Unternehmen. Veränderungen werden sichtbar, spürbar, ansteckend.
Wie sich diese Dynamik noch verstärken lässt, erzähle ich in einem der nächsten Artikel.
Eine Frage der Robustheit
Haben Sie ein größeres Vorhaben vor der Brust, sei es durch äußere Umstände aufgezwungen oder aus eigenem Antrieb?
Dann stellen Sie sich diese Fragen:
- Was brauche ich, damit das Vorhaben gelingt?
- Was davon habe ich selbst in der Hand?
- Welche Faktoren liegen außerhalb meines Einflusses?
- Wer kann mich unterstützen?
- Was sind die ersten konkreten Schritte?
- Wen brauche ich dafür?
